Umbringen, aufschneiden, wegwerfen
Wer Biologe, Biologielehrer, Arzt oder Tierarzt werden möchte, wird an den meisten deutschen Universitäten gleich zu Beginn seines Studiums mit Tierversuchen bzw. dem sogenannten „Tierverbrauch" konfrontiert. Darunter versteht man die Verwendung eigens zu Studienzwecken getöteter Tiere oder Teilen von ihnen. Präparationen von Tieren sowie Übungen an Organpräparaten, aber auch Versuche an lebenden Tieren sollen den Studierenden Grundbegriffe der Baupläne von Tieren und die Funktion der Organe vermitteln. Im Zoologiepraktikum beispielsweise werden Ratten, Schnecken, Insekten und andere Tiere getötet und aufgeschnitten, um Aussehen und Lage der Organe kennenzulernen. Weit verbreitet sind Tierversuche in der Physiologie, insbesondere sind hier die berüchtigten „Froschversuche" zu nennen. Den Fröschen wird der Kopf abgeschnitten, dann entnimmt man Organe wie Nerven, Muskeln oder das Herz. Auch abgetrennt vom Körper reagieren die Organe auf Reize wie Stromschläge oder Auftragen bestimmter Medikamente. Seit der italienische Arzt Aloysius Galvani im Jahr 1780 die elektrische Froschmuskelreizung erstmals beschrieb, haben Generationen von Studenten in aller Welt diesen Versuch an Abermillionen von Fröschen durchgeführt.
Mindestens 60.000 Tiere, davon 15.000 Wirbeltiere, werden in Deutschland jedes Jahr allein für den Pflichtteil des Studiums der Biologie, Human- und Tiermedizin getötet.
Gewissensentscheidung
Der Eid des Hippokrates, der uneingeschränkt für Ärzte gültig ist, verpflichtet zur Erhaltung jeden Lebens. Die meisten angehenden Tiermediziner ergreifen den Beruf, um Tiere zu heilen und Leiden zu mindern. Die Motivation für das Studium der Biologie ist das Interesse an der Natur mit all ihren Lebensformen. Aber schon zu Beginn des Studiums wird das Grundprinzip der Ehrfurcht vor dem Leben mit Füßen getreten, indem Studenten gegen ihr Gewissen zur Teilnahme an Tierversuchen gezwungen werden. Wer sich an der Hochschule aus Gewissensgründen weigert, an diesem „Tierverbrauch" teilzunehmen, bekommt keinen Leistungsnachweis und kann das Studium nicht erfolgreich absolvieren.
Tierverbrauchsfreie Lehrmethoden
Videofilme
Videofilme von Versuchen oder Demonstrationen können, auf Großbildleinwand projiziert, für alle Studenten deutlich sichtbar gezeigt werden. Wichtige Abschnitte können beliebig oft in Großaufnahme oder in Zeitlupe wiederholt und erläutert werden.
Computersimulationen
Mit modernen Computerprogrammen lassen sich physiologische Phänomene täuschend echt nachahmen. Eine Kurve, z.B. zur Reizfrequenz, wird nicht durch den zuckenden Froschmuskel gezeichnet, sondern durch den Computer, nachdem der Studierende verschiedene Parameter im virtuellen Labor eingestellt hat. Viele Programme sind hoch interaktiv und fordern vom Studierenden aktive Mitarbeit. Auf diese Weise wird eine besonders hohe Einprägsamkeit erreicht. Computersimulationen gibt es nicht nur für physiologische Versuche, sondern auch für morphologische Präparationen, pharmakologische Experimente und vieles mehr.
Selbstversuche
Die Physiologie kann mit harmlosen Selbstversuchen am eigenen Körper erfahren werden. Die Einprägsamkeit erhöht sich dadurch erheblich. Mit myographischen Verfahren können so Muskelströme und -mechanik z.B. anstatt an einem Froschmuskel am Arm eines Studenten bestimmt werden.
Verantwortungsvolle Verwendung toter Tiere
Es ist absolut nicht nötig, für anatomische Studien eigens Tiere zu töten. Schließlich werden die die Anatomiekurse im Studium der Humanmedizin ja auch nicht eigens Menschen umgebracht. In den tierärztlichen Kliniken und Praxen fallen gestorbene oder aus medizinischer Indikation eingeschläferte Tiere an, die für diesen Zweck verwendet werden können. Für Biologiestudenten eignen sich tot aufgefundene Insekten, Regenwürmer etc.
Plastinationen, Modelle
Bei dem Verfahren der Plastination werden Organe oder ganze Tiere in einen gummiartigen, beliebig lange haltbaren Zustand überführt, ohne dabei Form und Farbe zu verlieren. Kunststoffmodelle von Tieren und Organen veranschaulichen die Anatomie. Zur Übung von Injektionen, Blutentnahmen, chirurgische Eingriffe usw. eignen sich Silikonmodelle.
Untersuchungen von Patienten
Studierende der Tiermedizin können Behandlungen und diagnostische Untersuchungen (EKG, Blutentnahme, Reflexe usw.) an Tierpatienten erlernen, so wie es auch in der Humanmedizin üblich ist.
Assistieren
Operieren lernt ein angehender Arzt zunächst durch Übungen an menschlichen Leichen und ein Tierarzt an toten, auf natürliche Weise gestorbenen oder aus medizinischer Indikation eingeschläferten Tieren. Im nächsten Schritt erfolgt das Assistieren bei einem erfahrenen Chirurgen, bis man schließlich in der Lage ist, selbst Operationen - zunächst unter Aufsicht - am Patienten vorzunehmen. Nur so lässt sich das chirurgische Handwerk erlernen, nicht durch Übungen an Versuchstieren.
Prinzipielle Änderungen in der Ausbildung
An der humanmedizinischen Fakultät Witten/Herdecke stehen die Erhaltung oder Wiederherstellung von Gesundheit und Wohlbefinden der Patienten im Mittelpunkt. Der patientenorientierte, praxisnahe Modellstudiengang wurde mit dem Ziel etabliert, junge Menschen zu verantwortungsbewussten Arztpersönlichkeiten auszubilden. Dabei sollen nicht nur fachliche Kenntnisse vermittelt, sondern zentrale menschliche Qualitäten gefördert werden. Die Studierenden begleiten einen erfahrenden Arzt vom 1. Semester an und lernen, fachübergreifendes Denken in die Praxis umzusetzen. Tierversuche sind mit einer solchen Ausbildung unvereinbar.
Die rechtliche Situation
Nach § 10 des deutschen Tierschutzgesetzes dürfen „Eingriffe und Behandlungen an Tieren, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sind", nur dann zur Aus-, Fort- und Weiterbildung vorgenommen werden, „soweit ihr Zweck nicht auf andere Weise, insbesondere durch filmische Darstellung, erreicht werden kann."
Aufgrund der verfassungsrechtlich festgeschriebenen Freiheit der Lehre wird die Frage nach tierverbrauchsfreien Lehrmethoden ausschließlich der Einschätzung des Hochschullehrers überlassen. Das heißt, jeder Hochschullehrer kann ungeachtet der Vorgaben des Tierschutzgesetzes sein Praktikum nach seinem eigenen Gutdünken gestalten. Durch die Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz im Jahr 2002 ist der Tierschutz nicht mehr dem Grundrecht der Lehre untergeordnet. Jedoch nur formal, denn praktische Auswirkungen hat der Verfassungsrang des Tierschutzes auf den Tierverbrauch im Studium bislang nicht gehabt.
Studierende, die gerichtlich gegen ihre Universitäten vorgingen, um aus Gewissensgründen von der Teilnahme an tierverbrauchenden Übungen befreit zu werden, beriefen sich auf die grundgesetzlich garantierte Gewissensfreiheit sowie auf die der Freiheit der Berufswahl (Art. 4, 12 Grundgesetz) und konnten so dem Recht auf Lehrfreiheit (Art. 5 GG) auf Universitätsseite gegenübertreten. Seit 2002 kann auf Seiten der Studierenden noch der Tierschutz mit in die Waagschale geworfen werden, so dass sich die Chancen auf einen positiven Ausgang eines Prozesses erhöhen würden.
Italien und die Ukraine nehmen bei der Regelung der Gewissensfreiheit eine Vorreiterrolle ein. Studierenden in diesen Ländern ist es per Gesetz möglich, die Durchführung von Tierversuchen und tierverbrauchenden Übungen abzulehnen, ohne dass ihnen daraus Nachteile entstehen dürfen. In den Niederlanden und Schweden besteht für Studierende die Möglichkeit, durch einen schriftlichen Antrag an die Universitätsleitung eine Freistellung von entsprechenden Praktika zu erwirken. Von diesem Recht machen mangels Information allerdings nur wenige gebrauch.
Tierversuche an Schulen
Nach § 10 Tierschutzgesetz dürfen „Eingriffe oder Behandlungen zur Aus-, Fort- oder Weiterbildung" nur an einer Hochschule, einer anderen wissenschaftlichen Einrichtung oder einem Krankenhaus vorgenommen werden. Schulen gehören nicht dazu. Das heißt, Tierversuche und tierverbrauchende Übungen, die mit Schmerzen, Leiden und Schäden für die betroffenen Tiere einhergehen, sind in Schulen verboten.
Warum gibt es immer noch „Tierverbrauch" im Studium?
Die Hauptursache für das oftmals geradezu krampfhafte Festhalten an den zum Teil seit Jahrhunderten unverändert durchgeführten Praktikumsübungen, verbunden mit dem Zwang, sie durchführen zu müssen, dient weniger der Wissensvermittlung, als der Sozialisierung der Studierenden in eine ganz bestimmten Richtung. Für viele Dozenten ist es nicht nur der Tierverbrauch in der Ausbildung, der hier zur Disposition steht, sondern die Methode des Tierversuchs an sich. Angehende Mediziner und Naturwissenschaftler sollen den Tierversuch als selbstverständlichen Bestandteil des Methodenrepertoires ihres Faches akzeptieren lernen. Kritisches Denken ist dabei unerwünscht.
Der studentische Widerstand
Trotz der Gefahr, das Studium aufs Spiel zu setzen, hat es, seit es Experimente an Tieren im Studium gibt, auch Widerstand dagegen gegeben. Dank der unermüdlichen, jahrelangen Proteste von Seiten Studierender hat sich in den letzten Jahrzehnten an den deutschen Universitäten viel zum Positiven verändert. Mittlerweile verzichtet rund die Hälfte der humanmedizinischen Fakultäten in Deutschland auf tierverbrauchende Übungen. Dennoch gelten diese Versuche an den meisten Fachbereichen der Humanmedizin, der Biologie und der Veterinärmedizin immer noch als unabdingbar.
Neben den zahllosen Protesten versuchten in der Vergangenheit auch immer wieder Studierende über den juristischen Weg von der Teilnahme an tierexperimentellen Praktika befreit zu werden. Bislang wurden erst zwei dieser Prozesse von Humanmedizinstudenten gewonnen. Eine Biologiestudentin zog sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses urteilte zwar zu Ungunsten der Klägerin, schloss den grundsätzlichen Anspruch von Studierenden auf eine tierverbrauchsfreie Ausbildung aber nicht aus.
Osteuropa-Projekt
Während es an vielen deutschen Universitäten immer noch am guten Willen mangelt, fehlt es in manchen Ländern nur an Informationen und Finanzmitteln. Viele Hochschullehrer in Ländern wie der Ukraine und Russland stehen modernen, computergestützten Lehrmethoden aufgeschlossen gegenüber. Das Osteuropa-Projekt der Ärzte gegen Tierversuche e.V. hilft interessierten Professoren, auf tierverbrauchsfreie Lehrmethoden umzusteigen. So können mit relativ einfachen Mitteln konkret Tierleben gerettet werden.
Weitere Informationen
SATISÄrzte gegen Tierversuche e.V.