Prof. Dr. med. Pietro Croce, Vicenza

Alle Organismen – von der Bakterie bis zum Menschen – haben gewisse Ähnlichkeiten. Denn alles was auf der Erde lebt, hat bestimmte chemische Elemente und biochemische Verbindungen zum Aufbau des Körpers gemeinsam. Aber die bloße Zusammenstellung von chemischen Substanzen macht noch keinen Organismus und noch kein Lebewesen. Ein Organismus zeichnet sich nicht nur durch die organisatorische Verbindung und Wirkung der zahllosen verschiedenen Moleküle, Substanzen und Gewebe aus, sondern es bedarf auch noch des bisher wissenschaftlich nicht geklärten und ebenso wenig reproduzierbaren Zusammenwirkens, wobei dies in sinnvoller und zweckgerichteter Weise erfolgen muss. Dies wird allgemein als die Physiologie des Organismus oder als Leben bezeichnet.

Je höher ein Lebewesen differenziert ist, um so unvergleichbarer wird es mit anderen Lebewesen. Der Mensch gilt als der höchstentwickelte Organismus der Erde. Gewisse elementare physiologische Funktionen und biochemische Reaktionen sind durchaus auch im Tierreich vorhanden. Die zielgerichtete Gesamtorganisation und die jeweiligen Funktionen sind aber zwischen Mensch und Tier oft grundverschieden und ein großer Teil der seelischen Einwirkungen und psychisch-geistigen Steuerung sowie weiterer unbestimmter äußerer Einflüsse sind wissenschaftlich nicht erfassbar, ja noch nicht einmal definiert. Das Problem besteht nun darin, dass aus der isoliert betrachteten Reaktion eines tierischen Organismus nicht darauf geschlossen werden kann, dass der Mensch in gleicher Weise reagiert. Ob und wieweit Übereinstimmung mit einem Tier besteht, weiß man erst, wenn auch die Ergebnisse des gleichgearteten Experiments beim Menschen zum Vergleich auf dem Tisch liegen. Die Wirkungs- und Verträglichkeitsunterschiede sind häufig erheblich, und die Wirkungen oft auch entgegengesetzt, so dass die Übertragung von Ergebnissen aus Tierexperimenten auf die menschliche Situation ein absolut unkalkulierbares Risiko darstellt.

Darüber hinaus behindert die Praxis der "Tierversuchs-Forschung" die Entdeckung wesentlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse. So ist es nicht zu vermeiden, dass Fakten aus Tierversuchen als wichtig gelten, die eigentlich irrelevant sind, und andererseits wichtige Tatsachen verworfen oder nicht weiter verfolgt werden, weil sie im Tierversuch nicht nachvollziehbar sind.

Nachstehende Beispiele aus den verschiedensten Gebieten sollen dies verdeutlichen, sie könnten beliebig ergänzt werden:

Mensch und Tier: unterschiedlicher geht's nicht

- Der für den Menschen tödliche Knollenblätterpilz mit seinen verschiedenen Toxinen wird vom Kaninchen, Hasen und verschiedenen Nagetieren gut vertragen. Auch Wiederkäuer sind gegen das Gift ziemlich resistent.

- Der aus unserem Speiseplan nicht wegzudenkende Saft der Zitrone mit seiner verdauungsfördernden Wirkung ist für Katzen höchst giftig.

- Die für den Menschen gut schmeckende und gutverträgliche Petersilie ist für Papageien tödlich, nicht aber für alle Arten.

- Die Blausäure (als Salz Cyankali genannt) ist für den Menschen so giftig, dass er schon beim Einatmen der Dämpfe dieser Substanz sterben kann. Schafe, Kröten, Stachelschweine und andere Tierarten vertragen große Mengen dieses Giftes ohne Problem.

- Auf Mensch und Hund wirkt Morphium beruhigend, schlaffördernd und schmerzstillend. In hohen Dosen ruft es dagegen bei der Katze unkontrollierbare Erregungserscheinungen hervor.

- Penicillin ist bekannterweise für den Menschen ein relativ gut verträgliches und bei Infektionen gut wirksames Mittel. Meerschweinchen und Hamster können daran sterben.

- Die Menge Opium, an der ein Menschen sterben würde, verträgt das Stachelschwein ohne jede Reaktion.

- Das sich in Konserven entwickelnde und für den Verbraucher hochgiftige Botulinus-Gift zeigt bei der Katze kaum toxische Wirkung. Für die Maus wiederum ist es eines der schnellstwirkenden tödlichen Gifte.

- Der Methylalkohol, an dem schon Tausende erblindeten, hat für die üblichen Labortiere keine schädlichen Folgen, auch keine Reaktion am Auge.

- Das hochgiftige Arsen wird vom Schaf und anderen Wiederkäuern ohne Schädigung in erheblichen Mengen vertragen.

- Der Mangel an Vitamin C in der Nahrung führt beim Menschen, bei den meisten Primaten und beim Meerschweinchen, zum Tod durch Skorbut. Hunde, Katzen, Hamster, Ratten, Mäuse und viele andere Tiere können das Vitamin im eigenen Körper produzieren und kommen so lebenslang ohne jegliche Vitamin-C-Zufuhr aus.

- Hundert Milligramm Scopolamin bleiben bei Hund und Katze ohne Wirkung; fünf (5!) Milligramm sind für den Menschen tödlich. Unter Berücksichtigung ihres Gewichtes vertragen diese Tiere somit ohne jede Reaktion das Vierhundertfache der für den Menschen tödlichen Dosis.

- Strychnin wird vom Meerschweinchen, Huhn und Affen in Dosierungen vertragen, mit der eine mehrköpfige Familie in schwerste Krämpfe fiele und wahrscheinlich getötet würde.

- Der durch den Tod des berühmten Sokrates bekannt gewordene Schierling wird von Pferden, Mäusen, Ziegen und Schafen problemlos gefressen.

- Chloroform, das über lange Zeit in der Chirurgie als Narkotikum für den Menschen verwendet wurde, ist für den Hund ein tödliches Gift.

- Insulin ruft bei Kaninchen, Hühnern und Mäusen Missbildungen hervor; beim Menschen wurden diese Folgen bisher nicht beobachtet.

- Cortison verursacht bei Mäusen und anderen Nagern ebenfalls Missbildungen, beim Menschen offensichtlich nicht. Bei Schaf und Rind wirkt Cortison geburtsauslösend, eine Nebenwirkung, die beim Menschen nicht bekannt ist.

- Novalgin wirkt – unabhängig von seinen negativen Folgen auf die Blutbildung – beim Menschen schmerzstillend. Bei Katzen und verschiedenen anderen Tierarten verursacht es Gereiztheit und Aggressivität mit Speichelfluss.

- Das entzündungshemmende Mittel Phenylbutazon kann Hunden, Schweinen, Pferden und Affen in hohen Dosen und über lange Zeiträume verabreicht werden, weil es von ihnen schnell abgebaut wird. Beim Menschen wird es nicht nur 200mal langsamer entgiftet, sondern es akkumuliert auch im Körper.

- Das Antibiotikum Chloramphenicol schädigt das blutbildende Knochenmark des Menschen und seine Innohr-Hörfähigkeit, bei den üblicherweise verwendeten Versuchstieren ist dies nicht der Fall. Bei neugeborenen Menschen kann Chloramphenicol zu Kreislaufversagen führen, bei neugeborenen Haus- und "Nutz"tieren zeigt es diese Wirkung nicht.

- Mäuse, Ratten, Kaninchen und Tauben sind gegenüber den in der Tollkirsche und anderen Nachtschattengewächsen vorkommende Atropin weitgehend unempfindlich, weil diese Tiere die Substanz in ihrem Organismus mit dem Enzym Atropinesterase abbauen können. Beim Menschen führt Atropin dosisabhängig zu schweren Vergiftungserscheinungen, wie Sprechstörungen, Fieber, Verwirrtheit, Halluzinationen und Koma.

- Methyl-Fluoressigsäure ist für alle Säugetiere giftig und natürlich auch für den Menschen. Die Maus verträgt jedoch eine 50mal höhere Dosis als die, die einen großen Hund umbringt. Welche Dosis verträgt der Mensch?

- Bei der Behandlung von epilepsiekranken Menschen stehen heute ca. 15 medikamentöse Wirkstoffe zur Verfügung. Davon können zur Behandlung der Epilepsie des Hundes nur Kalium-Bromid und Phenobarbital eingesetzt werden, die anderen Substanzen werden beim Hund extrem rasch abgebaut, wirken anfallsfördernd statt anfallshemmend, verursachen Leberschäden, Mikro-Löcher im Gehirn oder sonstige massive Probleme.



Mensch ist nicht gleich Mensch

Es genügt also, die Unterschiede zu kennen, und zu wissen, welche Tierart zum Experiment herangezogen werden muss, um das Ergebnis weiß oder schwarz, hoch oder tief, gut oder schlecht, verträglich oder gefährlich zu bekommen. Genauso offensichtlich wird aber auch, dass der Tierversuch keine Aussage über die Reaktion und Verträglichkeit einer unbekannten Substanz beim Menschen machen kann.

Aber selbst der Mensch als Individuum unterscheidet sich innerhalb seiner Herkunft und genetischen Anlagen erheblich, weshalb er auch stark unterschiedlich auf äußere Reize reagiert:

- Ungefähr 10 % der Menschen kaukasischer Herkunft vertragen ab ca. 22 Jahren Milchzucker (Laktose) nicht mehr, obwohl sie ihn bis dahin gern gegessen haben. Sie sind deshalb nicht krank, sondern einfach in ihren Reaktionen anders als die restlichen 90 %.

- 65 % aller Menschen finden, dass Phenyl-Thio-Harnstoff bitter schmeckt; für die anderen ist er ohne Geschmack.

- Die meisten Menschen scheiden mit dem Urin keine Beta-Aminoisobuttersäure aus, nur ca. 8 % tun dies.

- Das Blut des Menschen enthält mindestens 17 Arten von Transferrinen (Proteine, die Eisen transportieren), aber ihr Verhältnis ist von Mensch zu Mensch stark unterschiedlich.

- Die Eiweiße des Blutserums werden zu 52 % von einem Albumin gebildet, jedoch haben einige Menschen zwei verschiedene Arten davon: A1 und A2.

Infektionen: mal tödlich, mal harmlos

Die meisten der bekannten Tierarten werden von den üblichen Krankheiten des Menschen nicht befallen. Wie kann also die Wirksamkeit eines Medikamentes gegen eine bestimmte menschliche Erkrankung beurteilt werden? Da das Tier diese Krankheit nicht bekommt, wird sie bei ihm künstlich im Experiment erzeugt. Bei den Infektionskrankheiten scheint das ziemlich einfach zu sein, ist aber in Wirklichkeit voller Unwägbarkeiten und Tücken. Das Tier reagiert nämlich auf dieselbe Infektion anders als der Mensch:

- Das Pockenvirus und das Gelbfiebervirus verursachen bei keinem bekannten Tier eine Erkrankung oder eine Infektionsreaktion.

- Das Kaninchen ist stark anfällig für den Erreger der Rindertuberkulose, kaum aber für den Erreger der menschlichen Tuberkulose. Beim Meerschweinchen ist es genau umgekehrt. Doch weder bei Meerschweinchen noch bei Kaninchen verläuft die Krankheit wie beim Menschen.

- Der Erreger der Rindertuberkulose ist für den Menschen relativ unschädlich und wurde deshalb eine zeitlang als Impfstoff verwendet. Beim Goldhamster verursacht er eine schwerwiegende Infektion mit tödlichem Ausgang. Bei welcher Spezies noch?

- Der Erreger der Lepra, Mycobacterium leprae, entwickelt sich außer im Menschen nur noch im Gürteltier; dort aber nicht spontan, sondern nur im Experiment.

- Das Bakterium Treponema pallidum verursacht nur beim Menschen die Syphilis. Auf den Affen künstlich übertragen erzeugt es eine akute Krankheit mit ganz anderem Verlauf und Erkrankungsformen als beim Menschen.

- Das Bakterium Actinomyces bovis führt bei Rindern zu einer Art Hauterkrankung. Beim Menschen verursacht es eine entzündlich-infektiöse Erkrankung der inneren Organe mit oft tödlichem Ausgang. Ein Versuchstier ist kaum mit diesem Erreger zu infizieren.

Krebskrank oder topfit

Soweit einige Beispiele für Unterschiede zwischen Mensch und Tier bei infektiösen Erkrankungen. Der Experimentator ist der Überzeugung, mit der absichtlich herbeigeführten Übertragung des Erregers im Experiment am "Tiermodell" eine menschliche Erkrankung zu simulieren und daran Therapiemethoden erarbeiten zu können. In ähnlicher Weise versucht man durch Einimpfen und Übertragen von Krebszellen in oder auf das Tier der Entstehung dieser tödlichen Krankheit näher zu kommen. Doch hier sind die Unterschiede noch größer und ein unlösbares Knäuel von Widersprüchen und Unvereinbarkeiten mit undefinierbaren Reaktionen werden offensichtlich. Eine krebserregende Substanz kann nicht nur bei Mensch und Tier zu unterschiedlichen Wirkungen und Ergebnissen führen, sondern sogar bei verschiedenen Stämmen der gleichen Tierart:

- Glücklicherweise untersuchte man vor 90 Jahren das Epilepsie-Medikament Phenobarbital nicht an Ratten, denn es fördert bei Nagern Leberkrebs, mit Sicherheit aber nicht beim Menschen.

- Urethan ruft beim Mäusestamm CHF Krebs in Milz, Lymphknoten, Lungen und anderen Organen hervor. Beim Mäusestamm CBI führt es zu bösartigen Lymphtumoren. Für den Menschen wurde Urethan als Mittel gegen Leukämie eingesetzt.

- Dimethylbenzo-Anthrazen verursacht bei Mäusen des so genannten "Schweizer Stammes" bösartige Lymphgeschwülste, bei Mäusen des Stammes "Strong A" aber Bronchialadenome, bei anderen Stämmen Leberkrebs, aber nur bei den Männchen!

- Tetrachlorkohlenstoff führt bei Mäusen zu Leberkrebs, bei Ratten verursacht es dagegen Leberzirrhose.

- Chloroform verursacht Leberkrebs bei einigen Mäusestämmen, jedoch nur bei Weibchen, nicht bei Männchen.

- Isonikotinsäurehydrazid (INH) ruft bei verschiedenen Mäusearten Bronchialkrebs hervor. Beim Menschen konnte bisher Ähnliches nicht festgestellt werden, obwohl diese Substanz jahrzehntelang in enormen Mengen zur Behandlung von Tuberkulose eingesetzt wurde.

Fazit:

Anhand dieser wenigen Beispiele, die sich beliebig fortsetzen ließen, soll aufgezeigt werden: keine Substanz ist grundsätzlich giftig, sondern jede Substanz vergiftet nur bestimmte Tierarten (bzw. nur in bestimmten Dosen). Man kann daher mit Tierversuchen "beweisen", was man will, und ebenso das Gegenteil. Wenn man die passende Tierart wählt, kann man ein Medikament je nach Belieben als harmlos oder als giftig, als wirksam oder als nutzlos hinstellen. Der Tierversuch ist also eine unwissenschaftliche Methode, ein methodologischer Irrtum; und eine Wissenschaft, die sich auf eine falsche Methodologie stützt, kann nur eine schlechte Wissenschaft sein. Diesen Irrtum zu beseitigen ist unsere Aufgabe.

Auszug aus dem Buch "Vivisektion oder Wissenschaft – Eine Wahl" von Prof. Dr. Pietro Croce, Mailand, 1988, Buchverlag Civis.

Der Autor

Prof. Dr. med. Pietro Croce. Medizinstudium und Promotion an der Universität Pisa, Italien. Wissenschaftliche Tätigkeit in den Forschungsabteilungen der University of Colorado in Denver, USA und University of Toledo, Ohio, USA. 1952-1982 Chefarzt des Laboratoriums für chemisch-klinische Analysen, Mikrobiologie und pathologische Anatomie des Krankenhauses L. Sacco, Mailand, Italien. Freier Dozent an der Universität Mailand, Italien. Autor verschiedener Bücher, darunter "Vivisektion oder Wissenschaft – Eine Wahl". Führte über 20 Jahre lang selbst Tierversuche durch, bis er Anfang der 80er Jahre ihre Unwissenschaftlichkeit erkannte und seither aus tiefer Überzeugung gegen das tierexperimentelle System kämpft. Prof. Croce verstarb im Jahr 2006.